Offener Brief zum 75. Todestag von Helmut Hesse, Theologe und Widerstandskämpfer

Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal

 Offener Brief zum 75. Todestag von Helmut Hesse, Theologe und Widerstandskämpfer

Die Kommission „Kultur des Erinnerns“ und die Stadt Wuppertal verhindern die Benennung des Helmut Hesse Parks in der Elberfelder Nordstadt

In einer Mail vom 10.10.2018 informierte der Beigeordnete und Leiter des Geschäftsbereichs Kultur und Sport & Sicherheit und Ordnung, Nocke im Auftrag von Oberbürgermeister Mucke, SPD, unseren Geschichtsverein erstmals über die „Entscheidung“ der Kommission „Kultur des Erinnerns“ vom 12. Juni 2018: Die Kommission sei „mit einer Würdigung von Helmut Hesse einverstanden, aber nicht mit dem vorgeschlagenen Ort.“ (Brief Matthias Nocke vom 10.10.2018.) Der kleine Park in Brunnenstraße, der - nicht nur - von Ölberger Bürger*innen gerne genutzt wird, sei, so die Ausführungen von Frau Dicken-Begrich „ungeeignet und den Verdiensten von Helmut Hesse, der für einen ganz wichtigen Teil der Kirchengeschichte stehe, nicht angemessen. Bei der Wahl eines geeigneten Ortes sollte die Kirchengemeinde mit einbezogen werden. Sie weist darauf hin, dass Helmut Hesse eine herausragende Figur des kirchlichen Widerstands gegen das NS-Regime gewesen sei und im Pfarrhaus in der Alemannenstraße 40 gelebt habe. […] Über dieses Votum wurde die Bezirksvertretung in ihrer Sitzung am 27.6.2018 informiert und mitgeteilt, dass statt der Benennung eines Parks vorgeschlagen worden sei, eine Gedenktafel an der Kirche anzubringen, in der Helmut Hesse hauptsächlich tätig gewesen sei.“ (Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018 (Kommission für eine Kultur des Erinnerns)) Weiter heißt es im Protokoll: „Federführung GB 2.2 in Verbindung mit 213 für folgende Aufgaben: Weitergabe Empfehlung der Kommission an die BV Elberfeld und den Absender des Bürgerantrages, Suche geeigneter Ort in Abstimmung mit den Initiatoren sowie Kontaktaufnahme mit der Kirche.“ (Ebd.)

1. Leider haben wir als Initiatoren des Bürger*innenantrag von der neuen „Beschlusslage“ erst drei Monate später durch die oben zitierte Mail von Herrn Nocke vom 10.10.2018 erfahren. Die „Weitergabe der Empfehlung der Kommission “ und die „Abstimmung mit den Initiatoren“ hat offensichtlich nicht funktioniert. Die Einladungen zur jetzt unerwünschten Einweihung des Helmut Hesse Parks waren jedenfalls schon gedruckt und verschickt, eine Informationstafel zum Helmut Hesse Park war fertig gestellt.

2. Es ist unbenommen und natürlich zu begrüßen, dass die evangelische Kirchengemeinde Helmut Hesse mit einer Gedenktafel an ihrer Kirche oder an dem ehemaligen Pfarrhaus Alemannenstraße ehren will. Die Anbringung einer Gedenktafel auf privatem Grund ist aber nicht Inhalt des von der BV Elberfeld angenommen Bürger*innenantrag gewesen. Der „Verein zu Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal“ favorisiert nach wie vor eine Ehrung von Helmut Hesse im öffentlichen Raum mit einer Straßenbenennung.

3. Zur Vorgeschichte: Den Bürger*innenantrag hatten wir bereits am 11.5.2017, dem 101. Geburtstag von Helmut Hesse, gestellt. Wir möchten „anregen, dass der kleine (noch unbenannte) Park in der Brunnenstr. [...] den Namen „Helmut Hesse Park“ bekommt. Es wäre schön, wenn eine öffentliche Ehrung durch eine Straßenbenennung bis zum 24. November 2018 möglich wäre. An diesem Tag ist es 75 Jahre her, dass Helmut Hesse im Konzentrationslager Dachau gestorben ist.
(https://www.njuuz.de/beitrag38503.html)
Die Bezirksvertretung Elberfeld folgte unserem Bürger*innenantrag für eine Benennung des kleinen Parks in der Brunnenstraße am 28. Juni 2017 einstimmig. In der BV-Sitzung kam es übrigens zu keiner Diskussion um die „Angemessenheit“ des Standortes.

4. Uns erschließt sich nicht, wie die „Kommission für die Kultur des Erinnerns“, die eigentlich nur Empfehlungen geben kann, die einstimmige (!) Entscheidung einer demokratisch gewählten Bezirksvertretung einfach aufheben kann. Dass die BV Elberfeld sich dem „Votum“ der Kommission angeschlossen hätte, ist zumindest aus den Niederschriften der Sitzungen der BV Elberfeld nicht zu ersehen.
Und wir fragen uns, ob die BV Elberfeld und die anderen Wuppertaler Bezirksvertretungen ihr Recht zur Straßenbenennung kampflos abgeben werden. Die Aufgaben und Kompetenzen der Bezirksvertretungen sind eigentlich eindeutig definiert: z.B. das Recht der BVen die „Benennung bzw. Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen [vorzunehmen], sofern sie nicht durch andere Vorgaben eingeschränkt sind.“

5. Insbesondere zwei wichtige „Beschlussfassungen“ der „Kommission für die Kultur des Erinnerns“ in der Vergangenheit haben uns als Geschichtsverein und als Wissenschaftler*innen nicht überzeugt. Zum einen haben wir mehrfach öffentlich kritisiert, dass der (beschlossene) städtische Text am Burgholz-Denkmal die NS-Täter verharmlost. Diesem Thema haben wir sogar ein eigenes Buchkapitel gewidmet. (http://www.njuuz.de/beitrag42350.html)
Zum anderen ist der Versuch der nachträglichen Entnazifizierung von Eduard von der Heydt in der Kommissionssitzung vom 21.4.2016, die auf persönlichen Wunsch des wichtigsten Wuppertaler Mäzens erfolgte, zurückzuweisen. Nachdem die Ehre des Nationalsozialisten Eduard von der Heydt von den Expert*innen durch Vortrag in der Kommission wiederhergestellt wurde, verzichtete man sogar auf die Wiederbenennung des Kulturpreises nach Eduard von der Heydt, um erneute Unruhe oder vielmehr kritische Diskussionen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Als Ergebnis dieses quasi privaten Entnazifizierungsausschusses wurde schließlich sogar die Aufstellung einer Büste von Eduard von der Heydt im Foyer des Museums vorgeschlagen.
(http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5307149&s=Rudolf%2BWalther/)
(https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/kunstgeschmack-und-geschaeftssinn-1.18679379

Das Protokoll dokumentiert die Sitzung wie folgt: „Herr Dr. Mittelsten Scheid vertritt die Auffassung, dass Eduard von der Heydt mit der Umbenennung des Preises großes Unrecht widerfahren sei. Damals sei die Kommission unsicher gewesen und habe deshalb dem Rat dies so vorgeschlagen. Jetzt müsse man den Irrtum eingestehen. […] Frau Dr. Schrader sieht heute ebenfalls eine andere Faktenlage, gibt aber zu bedenken, dass die Diskussion 2008 aus einer anderen Gemengelage entstanden sei. Man habe damals was finden wollen. […] Bei der Frage der Wiederherstellung des vollständigen Namens durch einen politischen Akt, müsse man wieder mit Unruhe rechnen. Die Diskussion würde erneut entfacht. Vielleicht gebe es ja andere Lösungen. Herr Dr. Mittelsten Scheid kann sich auch vorstellen, dass die Kommission erklärt, man habe sich geirrt und dies ohne Antrag an den Rat der Stadt. Lt. Herrn OB Mucke sei die Umbenennung 2008, nach dem zu dem Zeitpunkt auch in der Diskussion stand, den Namen ganz zu streichen, ein guter Kompromiss gewesen. Die Kommission für eine Kultur des Erinnerns sei das Gremium, welches das Ganze historisch zu bewerten habe und der Rat der Stadt politisch. Der Vorschlag von Herrn Dr. Mittelsten Scheid sei daher sehr weise. Seiner Einschätzung nach würde eine erneute Diskussion im Rat negative Folgen haben.“ (Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016 (Kommission für eine Kultur des Erinnerns).

Die zitierten und irritierenden und einer „Kultur des Erinnerns“ widersprechenden Passagen können unter dem Link im gesamten Kontext im Protokoll der Sitzung nachgelesen werden.
https://www.facebook.com/notes/denkmal-wuppertal/geschichtliche-einordnung-von-eduard-von-der-heydt-protokoll-auszug/1589940721107060/

Aus alldem ergibt sich unsere Forderung, dass wesentliche geschichtspolitische Entscheidungen lieber in den dafür gewählten parlamentarischen Vertretungen gefasst werden sollten.

6. Als letztes möchten wir noch die (offene) Frage nach der Eignung von Plätzen und Straßen für die Ehrung von Widerstandskämpfer*innen und NS-Verfolgte diskutieren. Wir halten den kleinen Platz in der Nordstadt durchaus für eine Würdigung geeignet. Er liegt ganz in der Nähe des alten Pfarrhauses von Helmut und Hermann Albert Hesse. Der kleine Park versteckt zudem nicht die soziale Realität der Wuppertaler Nordstadt.
Natürlich hätten wir in unserem Bürger*innenantrag einen großen Platz oder eine bedeutende Straße fordern können. Auch wäre eine Umbenennung der Hindenburgstraße wunderbar und längst überfällig. Wer aber die Biographie von Helmut Hesse kennt und auch von der langjährigen Nichtwürdigung und Tabuisierung seiner Person weiß, wird nach 75 Jahren nicht automatisch den größten Boulevard der Stadt fordern. Auch die evangelische Kirche konnte in den 1970igern nur die Namensgebung für ein Haus für psychisch Kranke durchsetzen. Erst seit 2008 erinnert ein kunstvoll gestaltetes Gedächtnisfenster in der Friedhofskirche an den evangelischen „Märtyrer“ Helmut Hesse, für das die Gemeindemitglieder vier Jahre Geld gesammelt haben.

Uns erscheint der kleine, von vielen Menschen genutzte, nicht so pompöse Platz in der Nordstadt, sogar besonders geeignet: Er passt zum Lebensweg dieses eigensinnigen und zerbrechlichen „Märtyrers“, der nur wenige Tage nach dem verheerenden Bombenangriff auf Barmen mit vielen toten Zivilisten den Mut hatte, an das Schicksal der zu diesem Zeitpunkt schon mehrheitlich bereits in Auschwitz, Kulmhof, Minsk oder Sobibor ermordeten Wuppertaler Juden zu erinnern und die Judenverfolgung in einer Predigt anprangerte.
1934 bis 1935 war Helmut Hesse noch Mitglied der SA, bis er mit dem Nationalsozialismus brach. Während seines Theologie-Studiums in Berlin begann er sich für jüdische Menschen im sog. Büro Gruber einzusetzen. Er vermittelte Pässe, fälschte Lebensmittelkarten und Fahrausweise. Das Verhältnis von Vater und Sohn Hesse zur eigenen Kirchengemeinde und sogar zur Bekennenden Kirche war bekanntlich sehr gespannt. Seine Kirche half auch nicht, als er zusammen mit seinem Vater verhaftet wurde. Vielmehr wurde Helmut und Hermann Albert Hesse von einem Kirchgänger bei der Polizei denunziert. Die Gestapo deckte übrigens bei ihren Ermittlungen ein Liebesverhältnis von Helmut Hesse mit einer verheirateten Pfarrersfrau aus Berlin auf. Diese Information lancierte die Gestapo in die Gemeinde hinein und sorgte für weitere Verwerfungen bis weit in die Nachkriegszeit.

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